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Schwarzer Sound, weißes Horn

Das Ornette Coleman Quartet auf der Schlossbühne von Neuhardenberg

 
Mit zwei schnellen Stücken startet der 79jährige im orangefarbenen Anzug mit seinem Markenzeichen, dem weißen Saxophon, in den Konzertabend. Es klingt, als habe der Mann keine Zeit zu verlieren. Gleich geht es bei Saxophonlegende Ornette Coleman in die Vollen, tempomäßig, harmolodisch und gefühlsmäßig. „Sound Grammar“, Klanggrammatik, heißt Colemans mit dem Pulitzer-Preis-2007 gekröntes Programm und es ist ein weiteres Kapitel seiner Harmolodie, Colemans eigener Harmonielehre, die die Gleichzeitigkeit von vielen verschiedenen Tonarten, Melodien und Rhythmen erlaubt.

Vor fast fünf Jahrzehnten wurde diese Musik Free Jazz genannt, nach dem gleichnamigen Album von Ornette Coleman von 1961 und von den einen verteufelt, von den anderen enthusiastisch als Befreiung von den Fesseln der klassischen europäischen Harmonielehre und musikalischen Disziplin gefeiert. Ornette Colemans Free Jazz ist aber von der krachigen Variante, die Musiker wie Peter Brötzmann heute noch pflegen, und die viele Zuhörer abschreckt, weit entfernt. Sein Free Jazz 2009 ist eine lyrische, teils kammermusikalische, sehr vom Blues inspirierte Variante. Würde die Rhythmusgruppe mit zwei Bassisten und einem Schlagzeug etwas konventioneller spielen, könnte man fast meinen Soul-Jazz-Saxophonist-David Sanborn zu hören.

Doch Ornettes Sohn Denardo Coleman spielt keine Jazz- oder Funkklischees, sondern etwas rumpelige stets die Viertel betonende Grooves, die vorantreiben. Die zwei Bassisten, Tony Falanga am Kontrabass und Al MacDowell am E-Bass ergänzen sich ganz wunderbar. Falanga nutzt in den langsamen kammermusikalischen Stücken sehr melodiös den Bogen, während MacDowell das Fundament zupft. Dann wieder springt der E-Bassist in die hohen Register einer Gitarre und der Kontrabass pulsiert tief und warm.

Ornette Coleman hält sich nicht mit vielen Worten auf, sondern spielt konzentriert und in sich gekehrt. Seine kleinen stets unspektakulären Melodien, darunter auch Klassiker wie „Lonely Woman“, drücken gleichzeitig etwas kindhaft Verletzliches und einen unermesslichen Schmerzensschrei aus. Es ist der Schrei, der an das Unrecht erinnert, das den Afroamerikaner Jahrhunderte lang angetan wurde und das auch ein erster Afroamerikaner im Weißen Haus nicht so schnell vergessen machen kann. Wenn Coleman zur Trompete wechselt, und einige brüchige Phrasen und Hohen lagen spielt, glaubt man Miles Davis in seiner Spätphase zu hören. Doch wo Miles seine Band darauf dressierte, ihm einen fetten Teppich zu legen, auf dem er sich dann ausruhen konnte, zieht es Coleman vor, über schwankenden Boden zu improvisieren.

Fast alle seine Stücke sind im Grunde Gruppenimprovisationen, in der die Spieler nur sehr gelegentlich zu kurzen Phrasen zusammen kommen, sich ansonsten aber melodisch aus dem Weg gehen, durchkreuzen, umspielen. Bei Coleman ist man in eine Gruppe eingebettet und doch ist jeder allein. Vielleicht ist es diese elementare urbane Einsamkeit, die sich in Colemans Musik ausdrückt, die die Menschen dazu bringt, ihm seit Jahrzehnten begeistert zu folgen, auch in das regendunkle Neuhardenberg. Selbst ein Gewitterschauer schreckt niemanden, sondern der Regen lässt die Ehrfurcht hinweg fließen, die Fans stürmen vor die Bühne und Coleman verabschiedet jeden einzelnen mit Handschlag, nicht ohne vorher Michael Jackson mit einer harmolodischen Version von „Beat It“ und „Thriller“ und Bach mit einer Version der Cello Suite No. 1 zu würdigen.

Oliver Hafke Ahmad




Direkt und ungekünstelt - Ornette Colemans Saxophonsound trifft
mitten ins Herz.
Foto: Oliver Hafke Ahmad





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