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Konsequent, provokativ, rockig

 

Der israelische Popsänger Aviv Geffen veröffentlicht sein erstes englischsprachiges Album, kritisiert Gewalt und Krieg und verewigt darin auch Berlin.
 

In eine Schublade passt dieser Musiker nicht. Er stammt aus Israel, spielt und schreibt aber lupenreine, auch mal elektronifizierte Rock und Pop-Musik. Ihn interessiert weder die osteuropäisch-jüdische Klezmer-Musik: „Klezmer ist für Idioten“. Noch interessiert ihn das Label Weltmusik: „Ich hasse das Weltmusik-Genre. Ich finde es sehr langweilig.“ Ein traditionelles arabisches Orchester findet sich trotzdem als Intro im Song „The One“. Doch anstatt in einem musikalischen Allerweltsbrei frönt der Sohn eines Dichters und Neffe des Ex-Verteidigungsminister Moshe Dajan lieber konsequent einer amerikanisch und englisch geprägten Rockmusik, die es liebt durch politische Aussagen und sexuelle Extravaganzen zu provozieren. Geffen legt in seinen Konzerten Kajal auf und trägt auch schon mal ein Kleid. „Ich bin ein Anti-Macho-Typ. Ich repräsentiere einen neuen Typ von Israeli. Ich erlaube meinen Freunden zu weinen, Gefühle zu zeigen, sie müssen nicht so kalt und macho sein. Du kannst cool und sexy sein, auch wenn du keine Uniform trägst und herumschreist“, verrät er im Solar am Anhalter Bahnhof über den Dächern von Berlin beim Gespräch.

Sein Ende August erscheinendes erstes englischsprachiges Album wurde von Trevor Horn produziert, der der Meinung war, Geffen sollte seine Musik auch außerhalb Israels präsentieren, also statt wie bisher Hebräisch lieber Englisch singen. Geffens Songs haben nicht nur dank Horns Produktionskünste und der prominenten Studiomusiker Hitpotential, sondern dank Geffens hymnischer Melodien und seiner stimmlichen Vielseitigkeit und Intensität. Ein sommerlich leichter Song wie „It´s Alright“ wechselt sich ab mit einer depressiven und mit brüchiger Stimme gesungener Antikriegsballade wie „Heroes“ oder „It´s Cloudy Now“ mit der vielzitierten Zeile „We´re a fucked up generation“.

Aviv Geffen ist nicht nur ein Pop-, sondern auch ein Mediephänomen. Wie ernst er als Künstler genommen wird, lässt sich leicht erkennen, auf welch großes Interesse das Europa-Debüt des 35jährigen stößt. Von BILD über Frankfurter Rundschau bis Süddeutsche berichten die überregionalen Medien über den Musiker und zitieren seine markigen Statements, die nicht an Kritik an Israel sparen.

Er ist allerdings nicht ohne Widersprüche. Während Geffen Anfang des Jahres noch behauptete der erste und einzige Kriegsdienstverweigerer Israels zu sein, rudert er im Interview nun zurück, und sagt, er habe eine schwere Rückenverletzung gehabt und hätte deshalb nicht zur Armee gemusst. Aber er habe trotzdem als Außenstehender beobachtet, wie seine Freunde vom Kriegsdienst „grau und alt“ zurückgekommen seien.

Ein Verräter an seinem Land möchte er aber nicht sein. Er glaubt, er habe Israel dadurch gedient, dass er das Thema Krieg, Gewalt und Machismo auf seine musikalische Agenda getan habe und spreche damit der Jugend Israels aus dem Herzen. Im Gegensatz zu manch schmierigem Popstar, der sich nur über seine Plattenverkäufe identifiziere, habe er seinen Erfolg seiner kompromisslosen Kritik zu verdanken, die erstaunlicherweise, verpackt in rockige Gitarrenklänge, bei der israelischen Jugend sehr gut ankommt. Der Erfolg als israelischer Popstar ist erkauft, durch angebliche Morddrohungen gegen Geffen, durch ein Leben mit Bodyguards und Anfeindungen. Denn er spart nicht mit Kritik an einer kleinen aber sehr einflussreichsten Gruppierung in Israel, den Ultraorthodoxen und an den Siedlern. „Ich finde die besetzten Gebiete sind wie Krebs am israelischen Körper. Ich finde, wir sollten den Palästinensern Ost-Jerusalem zurückgeben. Das Ego wird darunter leider, aber wir müssen Goodbye sagen zu diesem fürchterlichen Land. Keiner meiner Freunde hat je Ost-Jerusalem besucht und keiner von ihnen braucht es. Ich finde, die Araber, die Palästinenser verdienen es, ihr eigenes Land zu besitzen. Ich kann nicht in Ruhe leben, wenn ich weiß, dass nur wenige Kilometer entfernt von meinem großen Haus in Tel Aviv, jemand in meinem Alter nichts besitzt. Kein iPod, kein Auto, keine Parties, kein gutes Essen, keine Mode. Es ist eine Schande und es steht in unserer Möglichkeit ihnen diese Chance zu geben.“

Berlin hat es Aviv Geffen angetan, obwohl Teile seiner Familie im Holocaust ermordet wurden, der in der einstigen Reichshauptstadt maßgeblich geplant wurde. „Ich habe auf eine bestimmte Art meinen Frieden mit den Deutschen gemacht. Als ich meine Touren in Deutschland vor einigen Jahren gestartet habe, und ich die Menschenmenge meine Lieder singen hörte, und sie so loyal meiner Kunst gegenüber waren, da fand ich, es ist Zeit voranzugehen. Ich kann doch meine Fans hier in Deutschland nicht für die Taten ihrer Großväter und Großmütter anklagen.“ In Berlin spielt Geffen nicht nur gerne, sondern geht auch gerne shoppen. „Berlin erinnert mich an meine Heimatstadt Tel Aviv. Es ist ein schmutziger Ort. Es hat diesen sexy Chic. Einer meiner Lieblingsorte ist die Oranienburger Straße.“

Pop mit Leidenschaft und Inhalt, mit hymnischen Melodien und einem mutigen Künstler, der sich weit aus dem Fenster lehnt, wo sich andere hinter ihren Pressesprechern verstecken und in ihrem kommerziellen Erfolg bequem machen. Aviv Geffens englischsprachiges Debüt täte den Deutschen Charts ganz gut!

Oliver Hafke Ahmad

www.avivgeffen.co.uk



Skeptischer Blick auf die unfriedliche Gegenwart Israels: Singer-Songwriter Aviv Geffen.

Foto: Oliver Hafke Ahmad





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